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Wie ein deutscher Arzt beinahe Dänemark veränderte

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5. Februar 2014 von

Der Leibarzt Struensee kommt 1771 nach Dänemark "zu Besuch" wie es bei Per Olov Enquist so schön heißt, und beinahe hätte er die Dänische Revolution zu einem erfolgreichen Ende gebracht. In seinem Roman, der sich sehr nahe an den historischen Fakten bewegt, erzählt Enquist die erstaunliche Geschichte des Altonaer Arztes Johann Friedrich Struensee, der sich zuerst um den geisteskranken dänischen König Christian VII. kümmern soll und am Ende für die Aufklärung den Kopf hinhalten muss, lange bevor die Französische Revolution die Guillotine erfand. 

via Fischer Verlag
Dass Struensee noch heute relevant ist, liegt unter anderem an seinem Verhältnis mit der dänischen Königin Caroline Mathilde und der Tochter, die daraus hervorging: Noch heute sind Struensees Nachfahren an fast allen europäischen Höfen anzutreffen. Diese Liebe wurde dem Arzt zum Verhängnis, denn sie gab den Anlass zum Putsch durch den Emporkömmling Guldberg, der "die große Reinigung" durchführen und den alten, absolutistischen Hof wiederherstellen wollte. Die Geisteskrankheit des Königs schuf ein "Vakuum der Macht", das erst Struensee mit aufklärerischen Ideen füllte, bevor Guldberg übernahm. 

Enquist schafft es in Der Besuch des Leibarztes aus verschiedenen Erzählerpostitionen heraus jede Gefühlregung zu verzeichnen und ein genaues Bild des dänischen Hofes zu entwerfen. Struensees klaren Gedanken steht der gottesfürchtige Eifer Guldbergs entgegen. Dazwischen finden sich Passagen, in denen wir als Leser nur ahnen können, was im Kopf Christian VII. vorgegangen sein mag, dessen Verstand an seiner Erziehung zerbrochen ist. Manchmal wie ein Kind, manchmal wie ein Rasender erscheint dieser kleine Mensch, der in seltenen Momenten plötzlich zur Autorität mutiert. Und nicht zuletzt ist da noch die Königin Caroline Mathilde. Zu Beginn gerade einmal 15 Jahre alt weiß sie genau, welche ihre Rolle ist: Sie ist die "Muttersau, die gedeckt werden muss". Als Leser begleiten wir sie durch einen Findungsprozess, in dem sie nicht nur lernt, ihren Körper zu lieben und eine Sinnlichkeit zu entwickeln, die dem strengen Sittenmodell eines Guldbergs entgegensteht (er nennt sie nur "die kleine englische Hure"), sondern auch lernt, ihren Verstand zu benutzen. So ist es häufig auch gar nicht einmal Struensee, der Reformen erreichen will. Während er zögert, drängt sie ihn zu immer weitreichenderen Plänen.

Enquists Sprache ist nicht einfach und Der Besuch des Leibarztes kein leichter, unterhaltsamer Historienroman. Hier wird ein Tableau präsentiert, auf dem die Figuren sich wie auf einer Bühne bewegen und in welchem von vornherein klar ist, dass die Katastrophe unausweichlich ist. Darin liegt für mich jedoch gerade die Stärke des Buches.

Per Olov Enquist
Der Besuch des Leibarztes
Fischer-Verlag
384 Seiten


2 comments

  1. Hey Lola,

    ich finde deine Rezension unheimlich spannend und gut geschrieben! Das klingt wirklich nach einem Buch, das mir gefallen würde! Wird gleich mal auf die Wunschliste gesetzt :)

    LG Cat

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  2. Hej, hej,

    schön, wenn sie dir gefällt. Hinterlass mir doch einen Link, wenn du das Buch dann gelesen hast. :)

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